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Die Angst vor der Moderne

Die Angst vor den modernen Zeiten ist überall zu spüren, am deutlichsten aber in den Kreisen der (Alt-)Intellektuellen. Gerade sie vergöttern die von (ihren Vorgängergenerationen) fest definierte und anerkanntermaßen hoch angesehene Hoch-Kultur der Vergangenheit. Opern statt Popmusik, Goethe statt zeitgenössische Autoren, Museen statt Kino … die Liste lässt sich nahezu beliebig verlängern.

 

Nun kann in einer freien Gesellschaft ja ein jeder die Kunstform lieben und verehren, die ihm am besten behagt, aber die festgefügte Abgrenzung, die mit der Polarisierung zwischen Hoch- und Alltagskunst bewerkstelligt wird, gibt einem doch zu denken. Liegt dieser Versuch der Abgrenzung durch Erhöhung vielleicht darin begründet, dass manche Menschen ihren Platz im Hier und Heute nicht kennen und nicht zu erkennen vermögen? Dass sie nicht als Teilchen im Strom der immer rascher anschwellenden Veränderung mitgerissen und hinweg gespült werden wollen? Statt dessen suchen sie nach einem fest definierten Fundament, auf dem sie das unveränderliche Privileg ihres elitären Status ausleben können. Sie wollen fixierte Stabilität, nicht bewegliche Veränderung und quirlige Moderne, keinen Wandel und wenig Neues. Deshalb klammern sie sich an die Vergangenheit und jene Errungenschaften des Gestern, die anerkannt sind und von allen beachtet und geachtet werden müssen. Nach dem Motto: Diesen Künstler haben „wir“ – wer eigentlich genau bleibt häufig unbeantwortet – als einen wichtigen Kulturträger erkannt; wer ihn zu zitieren vermag, ist also wichtig. Das Bekenntnis zur Vergangenheit soll Status verleihen, den man in der Auseinandersetzung mit der Gegenwart nicht zu erringen vermag. Und dann blicken die vergangenheitsfixierten Intellektuellen auf die Werktätigen der Gegenwart herab, die Naturwissenschaftler, Ingenieure und Facharbeiter, die Tag für Tag die Maschinerie der modernen Welt am Laufen halten und jene Einkommen generieren, aus denen die von den Ewig-Gestrigen so geliebte Hochkultur subventioniert wird.

Hier kommt ein selbstreferentieller Machtfaktor zum Vorschein: Wer die intellektuelle Deutungshoheit über Kunst und Kultur erobert hat, kann die Formen der Kunst, die ihm besonders zusagen, zur Hochkultur küren. Der Geschmack der Massen bleibt außen vor. Der Markt wird ausgeblendet. Nun ist Kunst in der Tat nicht demokratisch, sondern „elitär“ in dem Sinne, das sie zumindest „anders“ sein will. Wer aufrütteln will, wer eine Botschaft vermitteln möchte, der braucht Aufmerksamkeit, der muss sich unterscheiden, sonst fällt er nicht auf. Der Künstler muss also Neues schaffen, muss sich vom Mainstream absetzen, muss also den Status Quo ständig in Frage stellen. Die zur anbetungswürdigen Ikone des Kulturbetriebs erhobenen Werke von gestern können für ihn also nicht Maßstab des eigenen Schaffens sein, allenfalls Anregungen für Neu-Interpretationen. Die Macht der Deutungshoheit der Elite behindert somit das künstlerische Schaffen und die Weiteentwicklung der Künstler, könnte man vermuten.

Die Gegenwart – und mehr noch die Zukunft, die im nächsten Moment schon beginnt – stellt alles in Frage; wer damit nicht klarkommt, betet die vermeintlich stabile und unveränderliche Vergangenheit an. Auf seiner Suche nach einem Anker für sein driftendes Selbst übersieht er dabei, dass er selbst die Vergangenheit sehr wohl verändert, nämlich neu interpretiert durch seine Instrumentalisierung für die Selbstvergewisserung. Wer das nur für sich selbst tut, ist natürlich frei, die Vergangenheit dergestalt zu benutzen. Wer sich als Vertreter einer Elite aufspielt und anderen Menschen seine Interpretation der Welt und ihrer Vergangenheit aufzwingen möchte, verletzt die Grenzen der Freiheit dieser anderen.

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