Von Präsidenten und Wahrheiten
„Wahrheit“ ist im politischen Alltagsbetrieb normalerweise keine sinnvoll zu verwendende Kategorie. Seit die Erkenntnis über den ersten Bundeskanzler kam, kennen wir in Deutschland mindestens drei Formen der politischen Wahrheit: die einfache, die reine und die lautere Wahrheit. Eindeutig ist das nicht. Gemeinhin gilt Nützlichkeit als die zweckmäßigste Eigenschaft, die man von politischen Aussagen fordern sollte.
Im parlamentarischen Abstimmungsbetrieb bleibt die Wahrheit auch hin und wieder auf der Strecke: Es kann als erwiesen gelten, dass die Mehrheit nicht stets Recht hat, sie ist nur in der Überzahl. Und ob eine mit Mehrheit gefällte Entscheidung nützlich oder unnütz war, wird sich erst in Zukunft erweisen und kann dann im Nachhinein sicherlich von Politologen unter dem Aspekt der Wahrhaftigkeit – im Sinne von Übereinstimmung mit der Realität – erforscht werden.
Wie wenig wahr solche nützlichen politischen Deklamationen sind, zeigen einige Beispiele: „Eines ist sicher: Die Rente.“ Wir erinnern uns? Und heute wird über den Ausstieg in den Einstieg in die Rente mit 67 diskutiert, während die ersten mahnenden Stimmen aus Forschungsinstituten zu vernehmen sind, die von einer notwendigen Erhöhung des Rentenalters auf 69 oder 70 Jahre reden.
„Die Sicherheit Deutschlands wird am Hindukusch verteidigt.“ Wegen dieses blöden Satzes eines SPD-Verteidigungsministers schicken wir Tausende Soldaten nach Afghanistan, um ein Land zu befrieden, das – so hat man oft genug den Eindruck – gar nicht friedlich sein will. Und geographisch oder geopolitisch betrachtet, ist die Struck’sche Wahrheit schlicht falsch. Da hätten die Deutschen eher Anlass gehabt, sich in Libyen zu engagieren.
Die Beschlüsse zur Rettung des Euro seien alternativlos, kräht nach jedem Brüsseler Krisengipfel unsere Bundes-Mutti Angela. Das klingt sehr nach absoluter Wahrheit, die den Regierungschefs da in Brüssel eingetrichtert wird. Wer glaubt das wohl? Aber es ist nützlich, um die Märkte zu beruhigen. Das behauptet jedenfalls Frau Merkel. Und wird es – weitgehende folgenlos – auch in Zukunft tun.
Aber manchmal spielt die Wahrheit dann doch eine Rolle im politischen Leben Berlins. So könnte es dahin kommen, dass gleich zwei Bundespräsidenten hintereinander an ihrem Umgang mit der Wahrheit scheitern.
Horst Köhler, weil er zu viel Wahres sagte, als er auf dem Rückflug von Afghanistan vor Journalisten darüber sinniert, dass Deutschland sich für seine (auch wirtschaftlichen) Interessen militärisch engagieren müsse. Das konnte man – und einige haben es eilfertig getan – als Rechtfertigung eines rüden Wirtschaftsimperialismus auslegen. Der Präsident, vom Naturell her eher wissenschaftlich angehauchter Fachbeamter als Karriere-Politiker, warf das Handtuch. In Zeiten der globalen Finanzkrise wäre er als ehemaliger IWF-Chef wahrscheinlich ein gutes Staatsoberhaupt gewesen; als Finanz-Fachmann hätte er den verunsicherten Bürgern vielleicht das Gefühl gegeben, dass wenigstens der Erste Mann im Lande versteht, um was es geht bei all den Fonds und Bonds, Krediten und Bürgschaften.
Christian Wulff – wenn er denn zurücktreten muss in den nächsten Tagen – wird dagegen über seine Verleugnung der Wahrheit fallen. Die Wahrheit selbst ist schon peinlich genug: Wie ein kleiner Emporkömmling aus der Provinz wollte er unbedingt ein schönes Haus haben – eines, das er sich eigentlich nicht leisten konnte. War der Privatkredit von reichen Freunden illegal? Sollte damit auf den damaligen Ministerpräsidenten unziemlich Einfluss genommen werden? Sind die Kreditzinsen, die die Bank ihm einräumte, ein wenig zu komfortabel ausgefallen? All das wird sich vielleicht in den nächsten Wochen klären. Wahrscheinlich war nichts wirklich unrechtmäßig. Aber bei den Menschen draußen bleibt ein Gefühl von unanständiger Vorteilnahme durch einen Schlauberger, der sich wie ein mieser Winkeladvokat durch die schmalen Lücken im Gesetzesdickicht hindurchwindet, der sich etwas erschleicht – ein tolles Haus jenseits seiner wahren Möglichkeiten –, für das normale Leute sich krummlegen müssten.
Und dann die Nummer mit der Bild-Zeitung. Wie unprofessionell muss man sein, um einem Journalisten eine Drohung auf die Mailbox zu labern? Jeder Politiker versucht, die Presseleute zu beeinflussen, um gut dazustehen, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu bekommen als die politischen Konkurrenten. Da wird auch geflunkert, beschönigt und dick aufgetragen. Aber keiner, der noch alle Tassen im Schrank hat, käme auf die Idee, direkt und unverschlüsselt die Unterdrückung von Fakten – im Sinne von Nichtveröffentlichung – zu fordern. Die Bildzeitung, die diesen Tonbandmitschnitt der Mailbox nicht unverzüglich veröffentlichte, sondern den Bundespräsidenten erst um Erlaubnis fragte, die sie erwartungsgemäß nicht bekam, steht nun nicht als Schmuddelblatt da, sondern ganz im Gegenteil als eine staatstragende, verantwortlich handelnde, rücksichtsvolle Qualitätszeitung! Wulff sei Dank!
Christian Wulff ist ein Beispiel für eine neue Menschen- und vor allem Politikergeneration. Seine Vorbilder für die politische Karriere sind nicht Adenauer, Brandt, Genscher oder wenigstens Kohl, sondern Kunstprodukte des Show-Bizz wie Boney M., Madonna oder Britney Spears. An denen ist nichts echt und authentisch, sie bestehen nur aus Image! Von PR-Profis inszeniert, werden da virtuelle Persönlichkeiten aufgebaut, die von den Künstlern perfekt geschauspielert werden müssen. Was bei Pop-Ikonen ein Teil ihres Geschäftes ist, wirkt in der Politik nur peinlich: Ein durchgestylter Polit-Bubi avanciert zum heimlichen Schwarm aller Schwiegermütter und will uns Bürgern signalisieren: Ich bin doch einer von Euch! Von wegen! Wer von uns hat reiche Freunde, die einem einfach mal so 500.000€ leihen könnten? Wer bekommt bei der Bank einen Kredit mit Zins nahe an der Inflationsrate? Realitätsverlust befällt nicht nur Stars und Sternchen.
Aber das kommt davon, wenn politische Heißluftballons zur Spitze aufsteigen dürfen; Menschen, die kein politisches Gerüst und keinen ideologischen Kern haben, sondern nur eine aufgeblasene Hülle sind mit viel heißer Luft drin.
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen / Euch
Michael Bross aus Sindlingen
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