Bloß keine Volksentscheide
Liebe Freunde und Bekannte,
die Schweiz hat per Volksentscheid den Bau von Minaretten verboten. Daraus ziehen Politiker Land auf, Land ab nun die Lehre: Bloß keine Volksentscheide zulassen!
Bei entsprechender Propaganda könnte es auch bei uns passieren: Das Volk entscheidet gegen den Bau von Minaretten. (Mal unterstellt, es gäbe im deutschen Grundgesetz die Möglichkeit für Volksentscheide.) In Frankfurt und in Köln schlugen Bauvorhaben muslimischer Gemeinden hohe Wellen; mehr soll dazu hier nicht gesagt werden.
Interessant waren freilich die Reaktionen aus der islamischen Welt – sie alle geißelten die Schweizer Entscheidung als Verstoß gegen die Menschenrechte und als Aufhetzung gegen Moslems: Der Obermufti von Kairo sah in dem Verbot zum Minarett-Bau eine "Beleidigung der Gefühle der Muslime". Ein Lautsprecher des türkischen Außenministeriums verkündigte, dass dieser Volksentscheid die Menschenrechte und grundlegende Freiheiten verletze. Und der Generalsekretär der islamischen Konferenz in Saudi-Arabien befürchtete gar "anti-islamische Aufwiegelung" in Europa.
So richtig glaubwürdig wäre die Kritik aus dem Nahen Osten, wenn in den Heimatländern dieser Menschenrechtskämpfer blühende christliche Gemeinden existierten, die jedes Jahr prachtvolle neue Kathedralen errichten. Leider dürfen Ungläubige in den einstigen Stammlanden der Christenheit zumeist nicht mal Kirchen, geschweige denn Kirchtürme bauen. Und in Saudi-Arabien wird schon das Zeigen eines christlichen Kreuzes schwer bestraft.
Wichtig für Europa ist aber, dass nun eine Grundsatzdebatte über die Mitwirkung der Bürger in der Demokratie beginnen könnte. Der Schweizer Volksentscheid wird von einigen als „Unfall der Demokratie" missverstanden und diffamiert. Wer solcherart kritisiert, offenbart nur seine elitäre, womöglich sogar antidemokratische Gesinnung. Das Volk darf nicht entscheiden dürfen, denn dabei könnte ja etwas herauskommen, was den Regierenden nicht gefällt, ihren höheren Einsichten zuwider läuft oder ihnen womöglich sogar peinlich sein muss.
Vorschläge, die nun fordern, auch in Deutschland mehr Volksentscheide zuzulassen und womöglich sogar im Grundgesetz zu verankern, sind jedoch ebenfalls blauäugig. Erstens wird es dafür keine Mehrheit im Bundestag geben. Und zweitens ignorieren die Eliten jeden Tag Volksentscheide. Das Volk will ordentliche Glühbirnen und bekommt Energiesparlampen verordnet. Millionen Pendler fahren mit dem Auto zur Arbeit und entscheiden sich gegen den ÖPNV. Viele Deutsche kaufen lieber dicke Autos, die neben der schieren Transportfunktion auch Lebensgefühl, Status und Wohlstand repräsentieren.
Die älteste Form von „Volksherrschaft", die schon zu Zeiten von Gottkaisern und Priesterkönigen ziemlich gut funktionierte, war und ist ein Markt. Millionen Leute rennen jede Woche zu Aldi und Lidl, um dort ihren Schnäppchenjägertrieb zu befriedigen und billige Produkte zu erhaschen. Wenn das mal kein Volksentscheid ist! Okay, es geht hier nur um Zucker, Gemüsekonserven und Klopapier – allesamt nicht gerade kulturell oder politisch hochstehende Entscheidungsfelder mit monumentalen Auswirkungen. Die Rettung der Welt oder auch nur der abendländischen Kultur hängt sicher davon nicht ab, was im Supermarkt in die Einkaufswagen gehäuft wird. Oder?
Aber es wäre viel gewonnen, wenn Politiker, Beamte, Funktionäre und andere selbst ernannte Vordenker mal in aller Demut lernen würden, die Volksentscheide, die täglich auf dem Marktplatz gefällt werden, als den realen Volkswillen zu akzeptieren. Dann könnten wir uns Orchideen-Diskussionen über mögliche Grundgesetzänderungen ersparen.
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen / Euch
Michael Bross aus Sindlingen
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